Europarat mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und den wichtigsten minderheitenspezifischen Dokumenten
In Europa kommt dem Europarat mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) hinsichtlich des Menschenrechts- und Minderheitenschutzes eine große Bedeutung zu. Im Gegensatz zu den politischen Bestimmungen der OSZE sind die des Europarates für die 47 Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich. Die internationale Organisation erarbeitet multilaterale völkerrechtliche Verträge. Bei Verstößen gegen diese kann jedes Individuum den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg anrufen, d.h. der Europarat ist ebenfalls für den Rechtsschutz zuständig. Der EGMR leistet einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung des europäischen Minderheitenschutzes. Die Aufnahme in der EU erfordert seit Beginn der 1990er Jahre von den Staaten u.a. auch ein „europäisches Mindestmaß“ an Minderheitenschutz im nationalen Recht. Das ist beachtlich, denn alle EU-Mitgliedsstaaten sind Vertragsstaaten der EMRK und dadurch an die Konvention gebunden. Die EU als solche ist in ihrem Handeln noch nicht an die EMRK gebunden. Mit dem Lissabon-Vertrag aus dem Jahr 2009 ist ein Beitritt zu ihr vorgesehen (Art. 6 (2) EUV).
Im Jahr 1950 wurde die EMRK in Rom vom Europarat verabschiedet und trat drei Jahre später in Kraft. Sie enthält einen Katalog mit den wichtigsten Grund- und Menschenrechten. Spezielle Minderheitenrechte sind zwar nicht enthalten; das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK ist jedoch für den Minderheitenschutz von wesentlicher Bedeutung. Niemand darf aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit schlechter behandelt werden. An diesem Artikel orientiert sich Art. 21 der Charta der Grundrechte der EU.
Der Europarat hat mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten sowie der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Sprachencharta) die wichtigsten rechtsverbindlichen Instrumente Europas ausgearbeitet.
Das Rahmenübereinkommen und die Sprachencharta ergänzen sich gegenseitig. Während das Rahmenübereinkommen allgemeine politische Bestimmungen festlegt, liegt der Fokus der Sprachencharta auf dem sprachlich-kulturellen Gebiet.
Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten
Die Mitgliedsstaaten des Europarats erarbeiteten seit 1993 ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, welches am 1. Februar 1995 zur Zeichnung aufgelegt wurde. Das in Deutschland im Jahr 1998 in Kraft getretene Übereinkommen verbietet jede Diskriminierung einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit sowie eine Assimilierung gegen ihren Willen. Ferner verpflichtet es die Mitgliedsstaaten zum Schutz der Freiheitsrechte und zu umfänglichen Fördermaßnahmen zugunsten der nationalen Minderheiten. Das Rahmenübereinkommen gilt in Deutschland als Bundesgesetz und hat somit Vorrang zum Beispiel gegenüber Landesgesetzen. Von den gegenwärtig 47 Mitgliedsstaaten des Europarates haben 39 Staaten das Rahmenübereinkommen ratifiziert, weitere vier Staaten haben das Übereinkommen gezeichnet. Ausnahmen bleiben Frankreich, Griechenland, Belgien, Monaco, Luxemburg, Andorra, Island und die Türkei (Stand 12/2022).
Deutschland hat sich aktiv an der Erarbeitung des Übereinkommens beteiligt und sich für eine möglichst effiziente Umsetzung stark gemacht. Denn mindestens ebenso wichtig wie das Eingehen völkerrechtlicher Verpflichtungen sind die Mechanismen, die sicherstellen, dass die Vertragsstaaten ihre Verpflichtungen einhalten.
So müssen Unterzeichnerstaaten innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten den Europarat umfassend über die Umsetzung informieren, danach alle fünf Jahre Bericht erstatten.
Ein Beratender Ausschuss von unabhängigen Experten und Expertinnen unterstützt den Europarat bei seinen Kontrollaufgaben.
Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen
Mit der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen sollen traditionell in einem Vertragsstaat gesprochene Minderheiten- und Regionalsprachen als bedrohter Aspekt des europäischen Kulturerbes geschützt und gefördert werden. Die geforderten Maßnahmen beziehen sich auf das Bildungswesen, insbesondere den Unterricht der Sprache und in der Sprache, die Verwendung der Regional- oder Minderheitensprachen in Gerichtsverfahren und vor Verwaltungsbehörden, das Nutzen der Sprache in Rundfunk und Presse, bei kulturellen Tätigkeiten und Einrichtungen sowie im wirtschaftlichen und sozialen Leben.
Allerdings ist die Sprachencharta eine sogenannte „Menükonvention“. Das heißt, die Staaten haben die Möglichkeit, aus den oben genannten Lebensbereichen zwischen mehreren Verpflichtungsalternativen zu wählen. Jede Vertragspartei muss dabei mindestens 35 Paragrafen oder Absätze aus einem Maßnahmenkatalog anwenden, einschließlich einer Anzahl zwingender Maßnahmen, die aus einem „Kernbereich“ auszuwählen sind.
Für die Umsetzung der Sprachencharta sind in Deutschland vor allem die Länder und nur in geringem Umfang der Bund zuständig – aufgrund der Länderhoheit insbesondere im Bildungswesen. Vor der Unterzeichnung der Charta durch die Bundesrepublik Deutschland wurde daher den Ländern die Möglichkeit eröffnet, sich angepasst an die unterschiedlichen Lebensbedingungen der einzelnen Minderheiten- und Sprachgruppen vor Ort situationsgerecht zur Umsetzung einzelner Maßnahmen zu verpflichten. Die Verpflichtungen der jeweiligen Länder variieren im Detail – je nach Minderheit und Sprachgruppe.
Die Charta wurde am 5. November 1992 in Straßburg zur Zeichnung aufgelegt, trat aber erst am 1. März 1998 in Kraft, als die notwendige Anzahl von fünf Ratifikationen erreicht wurde. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Erstunterzeichnerstaaten der Charta am 5. November 1992. Durch Gesetz vom 9. Juli 1998 hat der Deutsche Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates die Charta angenommen, sie trat am 1. Januar 1999 in Deutschland in Kraft. Wie das Rahmenübereinkommen gilt die Sprachencharta in Deutschland als Bundesgesetz, das nachrangiges Recht – einschließlich der Landesgesetze – bricht und gegenüber sonstigen Bundesgesetzen grundsätzlich als das speziellere Gesetz anzuwenden ist. Von den gegenwärtig 47 Mitgliedstaaten des Europarates haben bislang 25 Staaten die Charta ratifiziert, neun Staaten haben die Charta lediglich gezeichnet (Stand 12/2022).